Karlsruhe
Raus aus dem Tierversuchslabor: Pflegestelle für Laborratten
Die Zahl an Tierversuchen hat in den vergangenen Jahren in Deutschland abgenommen – das Thema sorgt aber immer noch für hitzige Diskussionen über Ethik und Unverzichtbarkeit -vor allem heute am Internationalen Tag zur Abschaffung von Tierversuchen. 2022 etwa wurden allein in Baden-Württemberg über 360.000 Tiere zu Versuchsobjekten – damit belegt Baden-Württemberg den dritten Platz der meisten Tierversuche im bundesweiten Vergleich. Doch nicht alle im Labor gezüchteten Tiere werden tatsächlich für Versuche verwendet. Viele werden eingeschläfert – manche dürfen das Labor aber verlassen.
Noch vor rund zwei Monaten war Bertha in einem Versuchslabor. Heute lebt sie mit ihren Schwestern Keks und Bine hier bei Samantha Willimsky in Karlsruhe. Willimsky hat gemeinsam mit ihrem Vater eine Pflegestelle für Farbratten, also für domestizierte Nagetiere. Ein Zuhause – wenn auch nur für eine begrenzte Zeit – finden hier Farbratten aus Vernachlässigung oder Haltungsaufgabe – oder aus dem Versuchslabor.
Versuchstiere waren Bertha und ihre Schwestern nie. Denn an Pflegestellen herausgegeben werden nur Laborratten, an denen keine Tierversuche durchgeführt wurden – zum Beispiel, weil mehr Tiere da sind, als für die Versuche tatsächlich benötigt. Aus welchem Labor die drei Schwestern kommen, weiß Willimsky nicht. Hier müssen sie erst einmal die neue Umgebung kennenlernen. Das bedeute auch: Kein klimatisierter Raum und Laborbedingungen, sondern Tageslicht und Frischfutter.
Die Reaktion bei möglichen Adoptanten: Anfangs meist geschockt von der Vorstellung, die man beim Wort „Laborratte“ im Kopf hat. Das ändere sich aber, wenn sie mehr über ihre Lebensgeschichte erfahren. Die drei Laborratten sind Menschen gewohnt und zahm.
Seit rund drei Jahren hat Willimsky eine Pflegestelle für Farbratten – eine von zwölf Pflegestellen der Rattenhilfe Süd, eine Nothilfe für Nagetiere in Süddeutschland. Vergangenes Jahr hat die Organisation etwa 200 Labortiere aufgenommen – hauptsächlich Farbratten, aber auch Kaninchen und Mäuse.
Baden-Württemberg nimmt bundesweit den dritten Platz beim Ranking der meisten Tierversuche ein – hier kommen 2,6 Versuchstiere pro Einwohner über die gesamte Lebenszeit.
„Obwohl zahlreiche Alternativmethoden bereits im Einsatz sind, sind diese noch nicht in der Lage, sämtliche Tierversuche in der Forschung zu ersetzen. Zudem bilden Alternativmethoden bisweilen häufig nur Teilaspekte der äußerst komplexen Vorgänge im menschlichen Körper nach. Aus diesem Grund wird die Forschung in absehbarer Zeit auf Untersuchungen am lebenden Tier nicht völlig verzichten können […]“
-Land Baden-Württemberg
Doch auch im wissenschaftlichen Bereich geht die Meinung zur Notwendigkeit von Tierversuchen auseinander. So zum Beispiel die Organisation Ärzte gegen Tierversuche:
„Aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht birgt der Tierversuch gegenüber tierversuchsfreien Methoden immense Nachteile und ein möglicher Nutzen besteht höchstens für die Experimentatoren und Nutznießer von Tierversuchen selbst. Allein die Versagensquote von Tierversuchen ist alarmierend. So scheitern bis zu 95 % aller in Tierversuchen für sicher und wirksam befundenen Arzneien beim Test in der klinischen Prüfung, in der die Wirkstoffe erstmals an Menschen getestet werden.“
-Ärzte gegen Tierversuche
Erstmal sieht es jedoch nicht danach aus, dass in der Forschung auf Tierversuche verzichtet wird. Bertha und ihre Schwestern hatten damit wohl Glück: Sie haben mittlerweile ein Zuhause gefunden und dürfen bald aus Willimskys Pflegestelle ausziehen.